Für alle, die Kafkas Verwandlung gelesen haben. Und alle andern auch
Der verrottende
Kadaver Gregors lag immer noch unberührt in seinem Raum, als die Familie die
Wohnung schon längst verlassen hatte. Die Tür blieb immer noch verschlossen,
aber aus unerklärlichen Umständen öffnete sich eines Nachts das Fenster. Die
frische Luft strömte in das abgestandene Zimmer und trug den Gestank der
Verwesung fort. Der Wind ward immer stärker und riss ein Loch in den Himmel.
Dunkle Wolken brachen auseinander und heraus trat der Mond. Stolz und voll hing
er am Himmel und schien in Gregors kleines Zimmer. Das Mondlicht schien
unnatürlich auf den inzwischen verwesten Panzer und fasste seine ganze Gestalt
in ein gleissendes Licht.
Als Gregor
Samsa jenes Nachts erwachte, fand er sich auf dem Fussboden zu einem Menschen
zurückverwandelt. Er lag seitlich zusammengekauert und als er den Kopf ein
wenig hob, sah er das runde Gesicht des Mondes. Es war kein Traum, sein Zimmer
lag wohlbehalten zwischen den vier bekannten Wänden. Wie er die Luft einzog,
stieg ihm der üble Gestank der Verwesung in die Nase und er nieste
unwillkürlich. Das laute Niesen brach mit einem Mal die Stille, in der sich
Gregor so lange befunden hatte. Er
horchte in die Stille hinein- keine sanfte Stimme der Mutter, kein Geklapper
von Schüsseln und Töpfen. So blieb Gregor stundenlang liegen, zusammengekauert
auf dem Fussboden.
Keine Fragen,
die er sich stellte, keine Antworten, die er suchte. Nur eine tiefe Leere
verspürte er in sich, kein Bedürfnis, sich zu bewegen und seine neu erlangte
Freiheit zu geniessen.
Als der Mond
verblasste und die Dämmerung mit zartem Schimmer einsetzte, schüttelte es
seinen Körper vor Schluchzer der Einsamkeit, lautlos tropften seine Tränen auf
den hölzernen Boden. Gregor raffte sich auf, sammelte all seine
zurückgelassenen Habseeligkeiten ein, wischte sich über sein erhitztes Gesicht
und ging, ohne sich einmal umzublicken, mit raschen Schritten aus dem Haus.
Die Stadt lag
still und schlafend in der Dämmerung, als Gregor am Fluss entlang zum Bahnhof
lief. Der wohlbekannte Geruch stieg ihm in die Nase, der Geruch nach Menschen
und Zügen, der Geruch nach seiner Vergangenheit. Gregor löste eine Fahrkarte.
Ausser dem Namen der Stadt sagte ihm der Ort nichts, nur dass es eine lange
Reise werden würde. Er bückte sich, hob seinen verstaubten Reisekoffer, den er
in aller Eile gepackt hatte, vom Boden auf und erklomm die Stiegen des Wagons.
Ohne sich umzublicken fuhr er in die Ferne. Der Reisende hatte sein Ziel noch
nicht erreicht.
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