Dienstag, 17. Januar 2012

Eine grosse Liebe oder die Geschichte des Apfels



Das ist die wahre Liebesgeschichte von Olivias Grosseltern.
Für Olivia





Filippa hastete durch den nieselnden Regen, ihre Absätze klapperten auf der nassen Strasse. Sie erreichte die ehemals rotgetünchte Tür ihrer kleinen Wohnung mitten in einer kleinen Stadt in Deutschland. Was von der Stadt noch übrig war nach dem Krieg, waren graue Trümmer und Dunkle Ruinen. Aber die Menschen machten sich an den Wiederaufbau, Stein für Stein, Trümmer für Trümmer. So auch Filippa, eine junge Frau Anfang zwanzig, die an jenem dunklen Oktobertag Suppe verteilte und Bestellungen für Heizkohle in einer selbstorganisierten Firma entgegennahm.
Morgen sollte das benachbarte Waisenhaus mit Kohle versorgt werden, ein junger Schweizer hatte heute angerufen. Sie erinnerte sich an seine angenehme Stimme.

Edmund war Junggeselle. Das nicht aus Überzeugung wegen des Junggesellen Lebens, sondern wegen seinem Beruf. Edmund war Priester.  Jedenfalls sah sein kleines Zimmer, eine ehemalige Abstellkammer in einem Waisenhaus, aus wie eine Junggesellenbude, spärlich eingerichtet und nur mit dem nötigsten ausgestattet. Seit dem Krieg arbeitete er in einem Waisenhaus, ausserhalb einer kleinen Stadt, und morgen sollten einige Männer kommen, um Holzkohle für das grosse Heim zu bringen.

Das Waisenhaus(ein ehemaliges Herrenhaus) lag ausserhalb der Stadt, umgeben von einem grossen Park, in dem Apfelbäume standen, so weit das Auge reichte. Filippa nahm einen der Äpfel in die Hand, schloss die Augen und biss hinein und genoss den Geschmack, sauer und saftig. Als sie ihre Augen wieder aufschlug, sah sie, dass die Köhler schon fast das Eingangsportal erreicht hatten. Schnell folgte sie den Männern und schlüpfte durch das schwere Tor, bevor es sich schloss.

Ein hochgewachsener Mann kam ihnen entgegen, schüttelte ihnen einzelnen die Hand und stellte sich mit seiner dunklen Stimme als Heimleiter vor. Er heisse Edmund, wenn sie im doch bitte in den Keller folgen würden. Zu Filippa sagte er:“ Bleiben Sie doch hier oben, anstatt den Herren in das dunkle Kellerloch zu folgen.“ Das sei nicht der richtige Ort für junge Damen. Also wartete sie oben, schaute in den Garten hinaus und dachte an all die Waisen, die ihre Eltern im Krieg verloren.
Sie fuhr herum. Edmund hatte sie angesprochen und schaute ihr nun mit einem durchdringenden Blick in die Augen. Sie strich sich ihr dichtes Haar hinter die Ohren, schaute zu ihm auf und sagte:“ Ich habe einer der Äpfel gegessen.“ Ob das schlimm sei. Er lächelte und verneinte.
Tage später nahm Filippa ein Telefongespräch entgegen: Das mit dem Apfel sei doch nicht so in Ordnung gewesen, aber wenn sie die Einladung auf einen Kaffee annehme, könne sie es wieder gut machen.
Filippa lächelte.
Aus einem Kaffeehausbesuch wurden mehrere, Edmund ward ihr immer wichtiger.
Aber sie ertrug die Gewissheit nicht, dass sie ihn, aufgrund seiner Priesterweihe,  nicht heiraten konnte. Deshalb verliess sie ihre erste grosse Liebe und stürzte sich in Arbeit, um diese endlose Leere auszuhalten.
Aber eine Liebesgeschichte geht nicht so zu Ende. Sie fängt so an, mit Sehnsucht und keinem ersichtlichen Ausweg.

Filippa verdrängte ihre Gefühle, ihre Sehnsüchte und Bedürfnisse. Bis der Briefträger ihr einen Brief aushändigte. Einen Brief aus der Schweiz.
Das war der Anfang einer fünf Jahre langen Briefbeziehung, jede Woche schrieb Edmund seiner Geliebten einen Brief, bis  sein Antrag, aus dem Priesteramt entlassen zu werden, angenommen wurde.

Obwohl die Stadt noch grau und zerstört war, hielt der sanfte Frühling Einzug. Filippa stand am Küchenfenster und dachte über ihre Sehnsucht nach, als sie plötzlich das laute Brummen eines Motors vernahm. Ein Taxi fuhr vor, und ein Mann mit markanten Gesichtszügen und in schwarzen Anzug stieg aus. Ohne ein Wort zu sagen, schauten sich die beiden einen endlos scheinenden Augenblick in die Augen, fielen sich dann in die Arme und Edmund steckte Filippa einen silbernen Verlobungsring an ihre Hand.  







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